Über die Relevanz der Cannabislegalisierung in Deutschland

geigenzart
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Über die Relevanz der Cannabislegalisierung in Deutschland

Beitrag von geigenzart »

Seit der Verkündigung der Bundesregierung, Cannabis legalisieren zu wollen, taucht das Thema Cannabis gehäufter in den Medien auf. Nachrichtensender veröffentlichen Meldungen zum Stand der Dinge, es erscheinen kritische Artikel in den Zeitungen und Journalen, in Talkshows und Podcasts wird darüber diskutiert, Reportagen und Dokumentationen setzen sich mit dem Thema auseinander und es wird sich darüber in Satiresendungen lustig gemacht. Öffentliche Debatten über Cannabis und über das Legalisierungsvorhaben werden schnell hitzig und chaotisch und sie sind von vornherein emotional aufgeladen. Es stehen sich dabei oft zwei unversöhnliche Seiten gegenüber: die Befürworter einer Legalisierung und die Gegner. Dabei drehen sich die Auseinandersetzungen mit diesem Thema im Kern um eine Frage: Warum brauchen wir die Legalisierung von Cannabis?
Die Befürworter berufen sich auf die Freiheit, die Demokratie und die Grundrechte und appellieren an den Verstand. Die Gegner beschwören den Untergang des Abendlandes und appellieren an die Vernunft. Beide Seiten tun das so vehement und leidenschaftlich, dass dabei Verstand und Vernunft den Bach hinuntergehen und nur noch darum gekämpft wird, wer am Ende als Sieger hervorgeht.
Dennoch ist mittlerweile in Teilen eine sachliche Auseinandersetzung und eine vorsichtige Annäherung der beiden Parteien erkennbar geworden, wo früher nur eine Verhärtung der Fronten erfolgte. Es reicht nicht mehr, zu rufen: Gebt das Hanf frei! Und man macht sich inzwischen nur noch lächerlich, wenn man sagt: Cannabis ist illegal, weil es verboten ist. Man streitet sich mit Argumenten, mit haltbaren wissenschaftlich fundierten und mit unhaltbaren wissenschaftlich widerlegten. Schwierig und unübersichtlich wird es dann, wenn man um die Deutungshoheit von wissenschaftlichen Erkenntnissen kämpft. Dabei wird deutlich, dass hier um den Besitz der Wahrheit gerungen wird. Doch die Wahrheit ist nicht absolut. Im besten Fall einigt man sich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner: auf eine miteinander verhandelte gemeinsame Realität.
Diese gemeinsame Realität gibt es beim Thema Cannabis nicht. Dadurch, dass der Umgang mit Cannabis verboten ist, gibt es eine Mehrheit von Menschen, die wenig oder nichts über Cannabis wissen und sich dafür auch nicht interessieren. Für diese Menschen ist das Thema in der Regel unwichtig. Es betrifft sie nicht. Und es gibt eine kleine Gruppe von Menschen, die sich für Cannabis interessieren, etwas oder viel darüber wissen und die zur Schlussfolgerung gekommen sind, dass ein Verbot von Cannabis für sie nicht gerechtfertigt ist. Sie nehmen die Gesetze in Bezug auf Cannabis nicht mehr ernst und sie haben das Empfinden, dass sie Straftaten begehen, verloren. Ich rede hierbei ausschließlich von den Konsumenten von Cannabis. Diese Menschen untergraben aber die Glaubwürdigkeit des Staates mit seiner Politik, seiner Justiz und mit seiner Strafverfolgung durch die Polizei. Und was gibt es schlimmeres für einen Staat, wenn er nicht mehr ernst genommen wird? Gefährlicher sind die Gegner unserer Demokratie: Verschwörer, Extremisten, Reichsbürger, AfD. Cannabiskonsumenten sind im Vergleich dazu harmlos und ungefährlich. Sie bewaffnen sich nicht und verüben keine Anschläge. Sie kleben sich nicht auf Straßen fest. Sie hetzen in der Regel nicht die Bevölkerung gegen den Staat auf. Demonstrationen und andere politische Kundgebungen verlaufen friedlich. Die wahren Gegner des Staates werden ernst genommen. Man beschäftigt sich ausführlich mit ihren Worten und Taten, mit ihren Bestrebungen und Zielen. Man geht auf sie ein und grenzt sich nicht immer klar von ihnen ab. Die Gegner des Staates und der Demokratie bekommen eine Relevanz, die Cannabiskonsumenten so nie erfahren haben, obwohl beide Gruppen eine Minderheit sind. Der Grund für diese unterschiedliche Bedeutsamkeit besteht wahrscheinlich darin, dass die Feinde unseres Gesellschaftssystem alles in Frage stellen und zugleich mit ihrem betont volksnahen und bürgerlichen Auftreten an die Mehrheit der Gesellschaft anknüpfen können, während die Cannabiskonsumenten in den Augen der Mehrheit einfach Kriminelle sind, die von der Norm abweichen. Die einen werden in der Mitte der Gesellschaft wahrgenommen und verortet, während die anderen zu einem ominösen Randgruppenphänomen herabgestuft werden. Ignoriert wird dabei, dass sich die Menschen beider Gruppierungen hauptsächlich aus der Mitte der Gesellschaft speisen. Zunächst durch das Betäubungsmittelgesetz erfolgt eine Kriminalisierung der Gruppe der Cannabiskonsumenten. Politisch und von der Seite der Polizei argumentiert man, man wolle mit diesem Gesetz vor allem den organisierten illegalen Drogenhandel und dessen kriminelle Hintermänner bekämpfen. Doch von der statistischen Anzahl her betrachtet, wer wegen des Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetzes strafrechtlich verfolgt wird, sind es hauptsächlich die Konsumenten, die die juristischen Konsequenzen für ihr Verhalten tragen müssen. Cannabiskonsumenten werden zu randständigen Menschen, weil Politiker und die Polizei der Bevölkerung über Jahrzehnte erfolgreich und nachhaltig vermittelt hat, dass Konsumenten von Cannabis mit dem organisierten Verbrechen, mit Kriminellen, mit schweren Straftaten, mit Elend und Verwahrlosung gleichzusetzen sind. Alles Dinge, mit denen kein normaler anständiger Deutscher etwas zu tun haben will und die kein Mensch braucht. Aus dieser Haltung heraus entspringt, meiner Ansicht nach, die mit Unverständnis und Ablehnung verbundene Frage: Warum brauchen wir eigentlich die Legalisierung von Cannabis? Haben wir nicht schon genug Drogentote? Haben wir nicht schon genug Drogensüchtige? Reichen nicht Alkohol und Tabak? Ist das nicht eine Verharmlosung illegaler Drogen und ein falsches Signal an die Jugend? Haben wir nicht wichtigere Probleme? Alles Fragen, die vor allem darauf hindeuten, dass die Mehrheit der Bevölkerung und ein Großteil der Politiker gar keine Lust hat, sich mit dem Thema Cannabislegalisierung zu beschäftigen. Was in meinen Augen nur allzu verständlich ist. Wer sich einmal in die Materie hineinwagt, merkt ziemlich schnell, dass die Frage nach der Legalisierung eine unüberschaubare Menge weiterer schwieriger Fragen nach sich zieht, die nicht leicht zu beantworten sind. Das sind ethische, gesundheitliche, politische, gesellschaftliche, verfassungsrechtliche, letztendlich existenzielle Menschheitsfragen, deren Antworten fortlaufend gesellschaftlich hinterfragt und verhandelt werden sollten. Fragen, die mit dem Alkoholverbot in den USA und dessen Aufhebung vor 100 Jahren bereits durchgekaut und heftig ausgekämpft worden sind. Gibt es ein Recht auf Rausch? Gibt es ein menschliches Grundbedürfnis nach Rausch? Inwieweit sollte der Staat die Entscheidungsfreiheit seiner Bürger einschränken, um sie vor gesundheitlichen Gefahren zu schützen? Ist Strafverfolgung ein geeignetes Mittel zur Eindämmung von Drogenkonsum und Suchterkrankung? Sollte man alle Drogen freigeben?
Die Cannabislegalisierungsdebatte (welch ein schönes Wortungetüm) ist unbequem. Und zwar für alle Beteiligten. Und das sollte sie auch sein. Sie ist genauso unbequem wie die Debatten über Abtreibung, Sterbehilfe, Gleichberechtigung, Gerechtigkeit oder Geschlechtervielfalt. All diese Debatten haben etwas gemeinsam. Einerseits erschüttern sie starre Konstruktionen und Grundannahmen menschlichen Daseins und Zusammenlebens. Sie haben ein sehr hohes Potenzial zu polarisieren. Zum anderen gibt es eine geringe politische Bereitschaft Veränderungen herbeizuführen. Politiker scheinen das Risiko zu scheuen, Entscheidungen und Lösungen durchzusetzen, die zwar vernünftig aber unpopulär sind, die sich obendrein im Nachhinein als unzureichend oder falsch herausstellen könnten. Dadurch verzögern sich die Veränderungen in einem Maß, dass die Veränderungsprozesse auf Jahrzehnte hinauslaufen. Oder die Bemühungen werden dermaßen unmotiviert angegangen, dass sie im Sand verlaufen. Mit dem Verweis auf dringlichere vordergründige Probleme werden dann zwar gelegentlich politische Debatten geführt und als Plattform für eine ideologische Wählerausrichtung genutzt, aber letztendlich wieder vergessen. Man kehrt zum parlamentarischen Alltag zurück und beschäftigt sich mit Scheindebatten wie dem Bürgergeld, bei der es dann nicht mehr um Kernfragen wie Armut und Gerechtigkeit geht, sondern um Neid als Mittel parteipolitischer Profilierung.
Ist die Cannabislegalisierung in derselben Weise bedeutsam wie etwa der Paragraf 218? Auch hier wurde immer wieder ein Straftatbestand verhandelt, der sich in die Persönlichkeits- und Freiheitsrechte der Bürger dieses Landes einmischt. Abtreibung ist grundsätzlich illegal und kann bestraft werden. Unter gewissen Bedingungen und Voraussetzungen toleriert der Staat die Tötung ungeborenes Lebens bei einer ungewollten oder unerwünschten Schwangerschaft. Der Erwerb, der Besitz und die Weitergabe von Cannabis sind verboten und werden bestraft. Der Konsum von Cannabis ist „erlaubt“, wird aber aufgrund der anderen Straftatbestände unmöglich gemacht. Es ist absurd. Rein statistisch betrachtet ist eine Abschaffung des Paragraf 2018 relevanter. Die Anzahl der Frauen, die potenziell jederzeit ungewollt schwanger werden könnten, ist wesentlich höher als die Anzahl der Cannabiskonsumenten, die jederzeit darüber entscheiden können, Cannabis zu erwerben, zu besitzen oder weiterzugeben oder diese Straftaten zu unterlassen. Auf einer Ebene treffen sich aber beide Betroffenengruppen. Und diese Ebene ist existenziell, nämlich menschlich, meiner Meinung nach. Aber auch darüber kann man diskutieren. Am besten mit Vertretern der Kirche, mit Abtreibungsgegnern, mit Polizisten und Staatsanwälten, mit konservativen Politikern. Dabei geht es um etwas ganz einfaches, simples, etwas scheinbar banales und nebensächliches. Es geht um die Befriedigung eines Bedürfnisses. Es geht um Spaß. Wikipedia: „Spaß ist eine im Deutschen seit dem 16./17. Jahrhundert belegte Substantivbildung aus dem italienischen spasso „Zerstreuung, Zeitvertreib, Vergnügen“. Das Wort wurde, angelehnt an das italienische Original, zunächst auch als Spasso geschrieben. Heute wird mit etwas macht Spaß eine Tätigkeit beschrieben, die gerne gemacht wird, die Freude, wobei diese meist nachhaltiger ist, bereitet.“ Der Spaß, um den es hier in beiden Fällen geht, ist zum einen Sex mit all seinen schönen Begleiterscheinungen und zum anderen der Rausch mit all seinen schönen Begleiterscheinungen. Und ist Sex nicht im besten Fall auch Rausch und Berauschung, Sinnlichkeit, ein intensiver Ausdruck von Intimität und Liebe? Führt der Rausch durch Cannabis oder Alkohol im besten Fall nicht zu gesteigerter Sinnlichkeit, Sensibilität und Geselligkeit? Nun ja, nicht notwendigerweise. Außerdem kann man diese Zustände auch durch andere Mittel herbeiführen, zum Beispiel durch Sport, Kunst und Gebet. Ist Spaß nicht völlig überbewertet? Haben wir denn nicht schon genug Spaß? Ist der Wunsch, einfach nur Spaß zu haben ohne einen beabsichtigten Zweck, ohne einem bewussten Ziel, einfach und unreflektiert nur um seiner selbst willen nicht ein viel zu niedriger und animalischer Wunsch, als dass wir uns solch einer schnöden Frivolität hingeben sollten? Sollten wir nicht besser in lutherischer Strenge Mäßigung und Genügsamkeit üben, um uns besser auf die eigentlich wichtigen Dinge im Leben wie Arbeit, Familie und Mehrung des Wohlstands konzentrieren zu können? Sollten wir den Geschlechtsverkehr nicht ausschließlich zur Fortpflanzung ausüben? Sollte Alkohol nicht allein der christlichen Liturgie vorbehalten bleiben? Vielleicht, wenn es uns Spaß macht, ein bigottes scheinheiliges Leben als anständiger Bürger zu führen, der all die Dinge, die Spaß machen, heimlich tut, beladen mit dem Gefühl von Schuld und Schande.
Der Abtreibungsparagraf greift viel gravierender und tiefer in die Selbstbestimmung und die freie Entfaltung von gebärfähigen Frauen ein als es das Betäubungsmittelgesetz bei Cannabiskonsumenten tut. Doch die Bedrängnisse und die Einschränkungen fühlen sich ähnlich belastend und bedrohlich an. Die Bedingungen für die Frauen sind nicht sicher und nicht optimal. Es gibt keine hundertprozentig sichere Schwangerschaftsverhütung. Die Pflichtberatung vor einer Abtreibung garantiert nicht hundertprozentig den Erhalt eines Zulassungsscheins. Die Zahl der Ärzte, die Abtreibungen vornehmen, ist rapide gesunken. Politisch sind keine Bemühungen zu erkennen, den Paragrafen 218 abzuschaffen. Eine ungewollte Schwangerschaft kann aufgrund des engen Zeitrahmens und dem großen bürokratischen Aufwands für eine Abtreibung dazu führen, dass es für eine Abtreibung zu spät ist, dass die Lebensplanung über den Haufen geworfen werden muss, dass die Frau mit den körperlichen Veränderungen durch die Schwangerschaft dauerhaft klar kommen muss, dass sie sich dem ebenfalls unzureichenden Zuständen einer klinischen Geburtsstation aussetzen muss. Cannabiskonsumenten müssen sich permanent vor der Polizei in Acht nehmen. Ihnen droht nicht nur ein Strafbefehl in Form von Strafgeld oder Haft, sondern auch der Entzug des Führerscheins. Beides kann sich existenzbedrohend auswirken, was nicht immer nur den Konsumenten trifft, sondern auch Partner, Kinder, Angehörige. Doch warum setzen sich Cannabiskonsumenten diesen Gefahren aus? Es mangelt zunächst an Unrechtsbewusstsein. Man hat den Eindruck, fast jeder konsumiert Cannabis und es sei normal. Es gibt einen großen illegalen Markt. Wer sich Cannabis besorgen möchte, bekommt es. Doch es gibt keinen Verbraucherschutz. Man weiß nicht, wo das Cannabis herkommt, wie es verarbeitet und inwieweit es verunreinigt wurde und welche Qualität oder Wirkung es hat. Schlechtes Cannabis kann man nicht zurückgeben oder umtauschen oder sein Geld dafür zurückverlangen. Es gibt keinen Jugendschutz. Händler verkaufen an alle. Wegen der Illegalität wird der Gesundheitsschutz erschwert. Konsumenten mit Suchtproblemen fällt es schwer, sich frühzeitig Hilfe zu holen, sich bei Angehörigen, Freunden, Kollegen, Arbeitgeber oder Ärzten zu offenbaren. Dabei schwingt immer die Angst vor Ablehnung, Ausgrenzung und Stigmatisierung mit. Die Situation von Cannabiskonsumenten ist insgesamt gefährlich, tabuisiert und spätestens dramatisch, wenn man erwischt wird. Dann ist das Erwachen schrecklich und das Geschrei groß. Vorher steht im Vordergrund, dass man eine Droge für sich gefunden hat, die einem zusagt. Das kann an der Wirkung liegen. Das kann daran liegen, dass man sie besser verträgt als Alkohol oder andere Drogen. Manche empfinden auch den Geschmack als wesentlich angenehmer als den von Alkohol. Es kann auch alles zusammen eine Rolle spielen. Jedenfalls hat man sich für Cannabis entschieden und findet das in Ordnung so. Die Freiheit, sich für oder gegen eine Droge zu entscheiden, fühlt sich dabei selbstverständlich an. Aber diese Freiheit existiert nicht. Der Staat gestattet bei der Auswahl an suchterzeugenden gesundheitsschädigenden berauschenden und betäubenden Drogen dem Bürger bloß den Alkohol (und Tabak). Begründet wird diese Vorgabe mit der langen Tradition des Alkoholkonsum in Deutschland und mit den internationalen Gesetzen und Vereinbarungen. Nachvollziehbare vernünftige wissenschaftsbasierte Gründe liefert der Staat für diese Entscheidung nicht. Genauso wenig gibt es eine vernünftige auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhende Begründung für das Verbot von Cannabis. Es gibt hauptsächlich Ideologien, die politisch durchgesetzt wurden und aufrecht erhalten werden. Das macht die Umsetzung einer Legalisierung von Cannabis so schwer. Auch die Komplexität der Thematik ist einem Menschen, der noch nie oder kaum mit Cannabis zu tun hatte, schwer vermittelbar, weder einem Politiker noch dem einfachen Bürger. Beide sagen: Lasst mich doch einfach damit in Ruhe und hört doch endlich mit dem Geplärre wegen Cannabis auf. Und regt euch deswegen nicht jedes Mal gleich so auf. Das interessiert doch niemanden. Ihr seid doch bloß süchtig! Aber darum geht es nicht. Es geht im Kern um die Freiheit, um die persönliche Entscheidungsfreiheit. So wie sich eine Frau in Deutschland frei und ohne jemanden Rechenschaft schuldig sein zu müssen für oder gegen das Tragen eines Kopftuches entscheiden möchte. So wie Männer in Deutschland in aller Selbstverständlichkeit darüber entscheiden, ob sie oberkörperfrei oder mit einem T-Shirt joggen gehen. Genauso möchte sich ein Cannabiskonsument entscheiden können, ob er heute Cannabis konsumiert oder doch lieber einen halben Liter Bier oder einfach nur eine Tasse Tee. In allen 3 Beispielen kommt keine weitere Person, egal wie die Entscheidung ausfällt, dadurch ernsthaft zu Schaden. Es geht nur um eine schlichte Entscheidung für sich persönlich, für sich selbst. Und das sollte kein Verbrechen sein. Die Legalisierung von Cannabis dreht sich also im Kern nicht darum, dass sich ein paar Vollidioten endlich zudröhnen dürfen. Vollidioten gibt es überall. Mit solcherlei Scheinargumenten will man bloß die Thematik in ihrer Relevanz herunterspielen, abwerten und verächtlich machen. Die Bedeutung der Legalisierung bezieht sich vor allem auf ein Grundrecht: Artikel 2, Persönliche Freiheitsrechte – Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.- Alkoholkonsumenten sind in Deutschland mit diesem Grundsatz vereinbar. Ihnen wird gestattet und innerhalb ihrer freien Persönlichkeitsentfaltung zugestanden, sich mit Alkohol zu Grunde zu richten, auch wenn das nicht erwünscht ist. Verletzt mitunter ein schwer Alkoholisierter die Rechte anderer oder verhält er sich unsittlich, greift der Staat mittels Polizei und Justiz ein. Aber ihm wird zunächst die Möglichkeit zugestanden, sich mittels Alkohol in einen Zustand zu versetzen, der sich und andere Menschen gefährden könnte. Ein Cannabiskonsument wird grundsätzlich für sein gesamtes Konsumverhalten bestraft, unabhängig davon, ob er nach dem Konsum einfach friedlich auf seiner Couch einschläft oder im Vollrausch einen anderen Menschen erschlägt. Haben Sie schon ein Mal eine Nachrichtenmeldung gelesen, in dem von so einem Vorfall berichtet wurde? Ich habe so was bisher nur im Zusammenhang mit Alkohol gelesen. Jedenfalls verstößt das, meiner Ansicht nach, auch gegen den Artikel 3 des Grundgesetzes: Gleichheit vor dem Gesetz – Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.- Aber das sind wahrscheinlich juristische Spitzfindigkeiten. Um dies herausfinden haben einige Richter beim Bundesverfassungsgericht um Klärung gebeten. Eine Entscheidung steht noch aus. Um es noch ein Mal mit anderen Worten zu sagen: es geht bei der Legalisierung um keine Kleinigkeit. Es geht nicht allein ums Kiffen. Es stört mich und es regt mich auf, dass dieses Thema entweder bagatellisiert oder verteufelt wird. Die, die es betrifft, sind nicht ohne Grund verzweifelt oder wütend. Viele Kiffer scheinen sich aber auch gar nicht für die Vorgänge zu interessieren. Sie engagieren sich nicht, sie gehen auf keine Demo und unterstützen die Legalisierungsaktivisten nicht. Immer wieder lese ich Aussagen wie: Ich kriege jederzeit mein Gras. Ob die Legalisierung kommt oder nicht, ist mir egal. Diese Gleichgültigkeit hat, meiner Meinung nach, nicht unbedingt etwas mit der Wirkung der Droge zu tun wie gern behauptet wird. Diese Leute wiegen sich bloß in einer Scheinsicherheit. Warum ich das behaupte? Weil ich sehe, dass es offensichtlich auch einem Großteil der Frauen an ihrer Vulva vorbeigeht, dass der Paragraf 218 ihre Freiheitsrechte einschränkt und ihre Persönlichkeitsrechte verletzt. Wahrscheinlich ist es eine menschliche Grundeigenschaft, dass man sich erst mit komplexen Problemen auseinandersetzt, wenn sie einen selbst betreffen. Das zeigt auch die Klimawandeldebatte recht deutlich. Ich warte seit über 20 Jahren auf die Legalisierung und habe beinahe die Hoffnung verloren, dass ich eines Tag frei und ohne Angst in ein ordentliches Geschäft gehen und mir etwas gutes Gras kaufen kann, um anschließend auf meinem Balkon ein Pfeifchen zu rauchen und eine Tasse Kaffee zu trinken und dazu einfach nur dazusitzen, zu entspannen, um die Sonne und die Welt zu genießen und um mich auf ein gutes Gespräch mit meiner Lieblingsmenschin zu freuen. Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Zuletzt geändert von geigenzart am Do 24. Nov 2022, 15:29, insgesamt 1-mal geändert.
Freno
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Re: Über die Relevanz der Cannabislegalisierung in Deutschland

Beitrag von Freno »

Man kann es auch auf eine einfache Formel bringen, nämlich diejenige des - leider nur in Juristenkreisen berühmten - Sondervotums der Richterin Rupp v. Brünneck zum 1. Abtreibungsurteil des BVerfG, mit dem die erste Fristenlösung der BRD für verfassungswidrig erklärt worden war. Rupp v. Brünneck hat dieses Urteil nicht mitgetragen und dies damit begründet, daß eine Norm, die von vorneherein keinerlei Aussicht auf Befolgung haben könne, niemals die Würde geltenden Rechts erlangen könne.

Cannabis ist zu einer "Volksdroge" geworden, wird allgemein akzeptiert auch von Nicht-Konsumenten. Hier in Leipzig wird ganz allgemein offen gekifft - die Polizei guckt demonstrativ weg. Effektiv verfolgt werden - von "Provos" abgesehen, die m.E. völlig zurecht einen drüber bekommen - nur noch die dealer. Ich habe es selbst vielfach erlebt, knackigstes Beispiel: ich saß am Sommer mit einem Kumpel an einem stadtnahen Badesee, habe mir einen gewuselt - und da kamen 2 Uniformierte vorbei, liefen gerade mal 1-2 m an unseren Füßen vorbei und sagten nichts als "Guten Tag!" Ich bin Cannabis-Patient, aber habe trotzdem einen leichten Schreck bekommen, mich vergewissert, mein Rezept griffbereit zu haben, weitergebaut. Die Staatsmacht beschäftigte sich ca. 10 m weiter mit einem Paar, daß mit dem Kanu angelandet war und belaberte sie wegen Kennzeichnungspflicht von Paddelbooten und Eisvogelbrut usw. Als die Amtshandlung beendet war, liefen die Uniformierten wieder direkt an uns vorbei, ich war schon am rauchen ... nix als "Schönen Tag noch!" haben sie uns gewünscht.

Die Justiz, die Strafverfolgungsbehörden - sie haben keine Lust mehr, "time, brain & money" mit blödsinniger Jagdt auf Cannabis zu verbrennen, genausowenig, wie die Justiz der ehemaligen BRD Lust hatte, das Abtreibungsverbot ernst zu nehmen. Man starrte damals gerne auf einzelne "Hexenprozesse", aber in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle wurden die §§ 218, 219 der ehemaligen BRD von der Justiz boykottiert. Man verschleppte die Verfahren über die Verjährungsgrenze, stellte gegen geringfügige Geldbußen ein ... die Zahl ver Verurteilten blieb regelmässig im unteren dreistelligen Bereich, wogegen die - meldepflichtigen ! - Abtreibungen regelmässsig 6-stellige Zahlen erreichten.

Die Rechtspraxis des Abtreibungsrechts der alten BRD war weitaus "liberaler", als ihr Gesetz - aber das ist kaum bekannt und will auch kaum jemand wissen, weil es ja ziemlich "undemokratisch" ist, wenn ein Gesetz des "demokratischen Gesetzgebers" ein Urteil des Verfassungsgerichts von Strafverfolgungsbehörden und Justiz auf den unteren Ebenen "an der Front" schlicht ignoriert wird.

Die Fähigkeit der Prinzipienreiter und Werte-Fetischisten, Normen "kontrafaktisch" aufrecht erhalten zu wollen, stößt nun mal an ihre praktischen Grenzen.
pepre
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Re: Über die Relevanz der Cannabislegalisierung in Deutschland

Beitrag von pepre »

Sondervotums der Richterin Rupp v. Brünneck
Ist leider in der Legislative bis heute ohne spürbare Auswirkung geblieben.
Die Fähigkeit der Prinzipienreiter und Werte-Fetischisten, Normen "kontrafaktisch" aufrecht erhalten zu wollen, stößt nun mal an ihre praktischen Grenzen.
Bayern beweist das Gegenteil. Die betreiben eine absurde Hatz gegen Kleinstkonsumenten. Alles im Namen von Law & Order. Klar: wer sein Wählerklientel an Stammtischen und in Bierzelten findet, der haut auf den Tisch, das kommt gut an. Und die Exekutive und Judikative ziehen in weiten Teilen mit, wie anno dazumal im Königreich Bayern.

Zur Überschrift: die Legalisierung ist sehr relevant. Es geht um den Schutz vor Gift im Stoff. Es geht darum, keine Existenzen wegen opferloser "Verbrechen" zu zerstören. Von den Einsatzmöglichkeiten des Hanfs im Bereich Medizin und Ökologie ganz zu schweigen. — Allein aus Wahlkampfgründen am Verbot festzuhalten zeugt nur von einem: "Mein Volk ist mir scheißegal und nach mir die Sintflut."
geigenzart
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Re: Über die Relevanz der Cannabislegalisierung in Deutschland

Beitrag von geigenzart »

Freno hat geschrieben: Di 22. Nov 2022, 23:03 Hier in Leipzig wird ganz allgemein offen gekifft - die Polizei guckt demonstrativ weg. Effektiv verfolgt werden - von "Provos" abgesehen, die m.E. völlig zurecht einen drüber bekommen - nur noch die dealer.
Das sind anscheinend ihre persönlichen Erfahrungen. Vertrauen Sie darauf, dass jeder leipziger Polizist so viel Toleranz aufbringt? Offenbar nicht, wenn Sie trotzdem einen Schreck bekommen. Und darum geht es ja: die Angst bleibt. Und sie ist berechtigt. Und wie ist das, wenn Sie sich in Schkeuditz, Rackwitz oder Wurzen aufhalten? Und übrigens: solche Polizisten riskieren da auch was. Das kann als Dienstvergehen bewertet werden. Sie sind verpflichtet möglichen Straftaten nachzugehen. Hier in Halle(Saale) sind für mich Cannabiskonsumenten in der Öffentlichkeit und im weiteren Bekanntenkreis auch allgegenwärtig. Daraus den Rückschluss ziehen zu wollen, dass nur noch Dealer verfolgt werden, finde ich naiv und ist für mich eher eine Bestätigung dessen, dass man sich in einer Parallelwelt mit einer Scheinsicherheit bewegt. Das finde ich gefährlich. Gerade bei jüngeren Menschen erlebe ich da ein Ausmaß an Leichtfertigkeit und Sorglosigkeit, dass ich mich nicht wundere, dass einige schon erwischt worden sind. Haben Sie konkrete Zahlen für Leipzig, wie hoch der Anteil an Strafverfahren gegen Dealer und gegen Konsumenten ist? Das müssten dann Null Strafverfahren wegen Besitz, Erwerb oder Weitergabe einer geringen Menge sein. Laut Deutschem Hanfverband gibt es aber bundesweit jährlich ungefähr 180 000 Strafverfahren gegen Konsumenten wegen einer geringen Menge. Das ist das, woran ich mich halte. Das mag bei einer vermuteten Konsumentenanzahl von 4 bis 6 Millionen gering erscheinen. Aber über die Jahre kommt da was zusammen. Hinzu kommen die Verkehrskontrollen, bei denen nicht einfach Polizisten irgendwo entspannt auf Streife gehen, sondern bei denen es direkt um Drogenkontrollen geht. Da jetzt mit einem Sozialdarwinismus daher zu kommen á la "von "Provos" abgesehen, die m.E. völlig zurecht einen drüber bekommen" hilft auch nicht weiter. Ich finde das fast zynisch und wenig hilfreich. Warum "zurecht"? Warum sollte überhaupt jemand "einen drüber bekommen", weil er oder sie kifft? Ich bin für einen rechtssicheren angstfreien Raum, in dem ich Cannabis kaufen, mit mir herumtragen und konsumieren darf wie provokativ auch immer und in dem ich bei dieser Angelegenheit jedem Polizisten über den Weg trauen kann.
geigenzart
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Re: Über die Relevanz der Cannabislegalisierung in Deutschland

Beitrag von geigenzart »

@pepre
"Zur Überschrift: die Legalisierung ist sehr relevant. "
Unbedingt ist die Legalisierung wichtig und hat einen berechtigten Stellenwert. Aber warum? Das wird, meiner Meinung nach, als Kernaussage gar nicht richtig und leider viel zu wenig kommuniziert. Weder von den Aktivisten noch von den politischen Entscheidungsträgern. Die Legalisierung hat für mich eine verfassungsrechtliche Bedeutung. Doch das wird überlagert und verdeckt von Diskussionen auf Nebenschauplätzen, die wichtig sind, wie Jugendschutz, Verbraucherschutz, Gesundheitsschutz, die aber in der Rangfolge ihrer Bedeutung, meiner Meinung nach, an zweiter Stelle stehen. Am Beispiel des Rechts auf Meinungsfreiheit sieht man wie diese immer wieder in den Mittelpunkt von Auseinandersetzungen über Zensur gestellt wird, bevor man weiter darüber diskutiert wie die Meinungsfreiheit gestaltet, beschränkt oder beschützt werden kann.
Freno
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Re: Über die Relevanz der Cannabislegalisierung in Deutschland

Beitrag von Freno »

@ Geigenzart

Hier in diesem Forum wird sich wohl niemand finden, der die Legalisierung für überflüssig hält, auch ich nicht. Für mich persönlich gelten allerdings andere Bedingungen: ich bin "Cannabis-Patient" und habe mein aktuelles Rezept immer "am Mann".

Zahlen habe ich nicht - die hat niemand. Denn die Zahl, auf die es wirklich ankäme, wird nicht erhoben, kann nicht erhoben werden: die Zahl der Fälle nämlich, in denen die Behörden "demonstrativ weggucken".

Selbstverständlich werden auch in Leipzig "kleine Kiffer" verfolgt, va wenn besondere Umstände hinzukommen, etwa das Auffinden größerer Mengen, die den Verdacht auf Handeltreiben nahe legen, Zusammenhänge mit anderen Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten va im Straßenverkehr usw. Aber davon bekommen nur die unmittelbar Betroffenen etwas mit - in den Medien wird darüber nicht mehr berichtet, soweit ich das überschaue.

Nur vor einigen Jahren schon konnte man in der Leipziger Volkszeitung lesen, daß sich eine junge Frau während einer Polizeikontrolle einen joint anstecken mußte - natürlich klickten sofort die Handschellen, die Wohnung wurde durchsucht, wo man dann noch erheblich mehr fand, als Cannabis und am Ende kam 1 Jahr mit Bewährung heraus, was dieser jungen Frau aber mindestens solange das Leben erschweren wird, bis diese Vorstrafe aus dem Bundeszentralregister gelöscht ist. Wer die Staatsmacht provokativ herausfordert, bekommt m.E. völlig zurecht kräftig einen drüber ...

Mir ist auch hier im Forum bekannt geworden, daß man in Bayern insofern "am Rad drehen würde" - ich habe keine persönlichen Verbindungen mehr dorthin und kann dazu nichts sagen.
geigenzart
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Re: Über die Relevanz der Cannabislegalisierung in Deutschland

Beitrag von geigenzart »

@ freno
Um es mal anhand einer Abwandlung eines Filmtitels von Rosa von Praunheim zu verdeutlichen:
Nicht der Cannabiskonsument ist kriminell, sondern die Situation, in der er lebt
oder auch:
Nicht der Cannabispatient ist krank, sondern die Situation, in der er lebt
Mir geht es inzwischen um die grundsätzliche Situation, wie zum Beispiel: immer das Rezept bei sich tragen, um Probleme mit der Polizei zu minimieren. Mit der Legalisierung wird das hoffentlich auch nicht mehr nötig sein. Eine Statistik des Wegguckens wäre echt interessant. LEAP ist ja gerade voll aktiv und wirbt Polizisten, Richter, Staatsanwälte für ihren Verein an. Wenn sich da ein deutlicher Zulauf abzeichnen würde, wäre wenigstens etwas sichtbarer, dass wesentlich mehr Vertreter der Executive und der Judikative nichts mehr von Verbot und Verfolgung halten als man zunächst glaubt.
Solche Beispiele, wie du sie hier aufführst, habe ich auch schon zur Genüge gelesen. Ja, es ist idiotisch. Und selber schuld. Dennoch habe ich den Verdacht, dass diese Leute vor allem ein ungesundes Verhältnis zu Drogen und Suchtprobleme haben. Warum das so ist, ist eine weitere Frage. Da verbergen sich gescheiterte Biografien dahinter, mitunter fehlgeleitet von einer bisher scheinheiligen Drogenpräventionspolitik, die bis heute auch dazu führt, dass Leute ernsthaft glauben: lieber kriminell und gegen den Staat sein als sich noch länger vom Staat verarschen zu lassen. ´Wir sind ja die Guten.´ Darum sollten sich, meiner Meinung nach, vor allem ausreichend aufgeklärte Ärzte, Psychologen und Sozialarbeiter um diese Leute kümmern. Und ja, bei illegalen organisierten Drogenhandel sind sie berechtigterweise dran. Darum geht es ja auch bei der Legalisierung weiterhin. Das heißt für mich: Bewährungs- oder Gefängnisstrafe mit gleichzeitiger und fortgesetzter Therapie (insofern bei den Tätern eine Bereitschaft da ist). Maximilian Pollux ist in der Hinsicht für mich ein gelungenes Vorbild als ehemaliger jugendlicher Intensivtäter und Drogendealer, der es aus dem Gefängnis und der Sucht geschafft hat und heute gefährdeten Jugendlichen hilft und sogar eine Sendereihe für den Hessischen Rundfunk produziert.
Vor allem muss, meiner Ansicht nach, der Strafverfolgungsdruck raus, damit es gar nicht erst zu so einer Eskalation kommt, die dazu führt, dass aus einem Cannabissüchtigen ein Drogendealer wird.
Freno
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Re: Über die Relevanz der Cannabislegalisierung in Deutschland

Beitrag von Freno »

Was ich hier schon öfters mitgeteilt habe: schon im Jahre 2010 war in der "Zeitschrift für Rechtspolitik" - eine Beilage der hoch angesehenen "Neuen Juristischen Wochenschrift" (NJW), die inoffizielle Pflichtlektüre jedes praktisch tätigen Juristen ist - zu lesen, daß der Bundesverband der Kriminalpolizisten die Entkriminalisierung von Cannabis forderte (und wohl auch heute noch die Legalisierung unterstützt). Es sind die "Frontschweine" des Rechtsstaates: die "Kripo", die Amts- und Staatsanwälte, die Richter an den Untergerichten (Amts- und Landgericht), die jahrein-jahraus mitbekommen haben, daß die Propaganda der sehr einflußreichen ... äh ... ich sage mal: "Cannabis-Verbots-Fetischisten" vom assozialen, kriminellen Drogenabhängigen einfach nicht stimmt: Kiffer sind in ihrer überwiegenden Mehrheit "ganz normale Bürger". Sie sind berufstätig - nicht selten in "höheren Berufen" - leben in "geordneten wirtschaftlichen Verhältnissen", haben Familien, sind "sozial integriert" - und genau deswegen hat man seitens der "Frontschweine des Rechtsstaats" keine Lust mehr auf das Cannabis-Verbot, auch wenn man nach wie vor seine Pflicht tut.

Man sollte nicht vergessen, daß die allererste Initiative von Verfassungsorganen zur Entkriminalisierung von Cannabis nicht etwa durch die "Grünen", sondern durch das Bundesverfassungsgericht mit seinem "Haschisch-Urteil" erfolgt ist, durch das die Lage der Kiffer beträchtlich erleichtert worden ist - wenngleich mit großen regionalen Unterschieden. Anekdote: als dieses legendäre Urteil erging, war ich Assistent an einem juristischen Lehrstuhl, wo es sehr familiär zuging. Als wir "Assis" mal wieder beim Wein mit unserem Professor zusammensaßen, meinte unser "Stabschef", wir könnten doch jetzt auch mal zusammen einen kiffen ?! "Nee, dös machemer nedd - weil: i' hob's au' mo' vasuchd und i vertrog's nedd!" sprach unser Jura-Professor, der u.a. ein leidenschaftlicher Franke gewesen war und Hochdeutsch nur im Hörsaal sproch. Es war jenes "Haschisch-Urteil", das der bevorstehenden Legalisierung die Bahn gebrochen hatte.

Es ist sehr richtig: die Kriminalisierung von Drogen führt zur Ausgrenzung der 'Konsumenten' (ich mag dieses langzähnige Wort nicht nicht) in eine Subkultur - "Szene" - in welcher jede Sozialkontrolle fehlt, im Gegenteil die "Härtesten" die höchsten Rangstufen einnehmen. Das ist beim - legalen - Alkoholismus durchaus nicht anders. Zudem kommt der "sekundäre" Effekt, dem organisierten Verbrechen eine enorm breite ökonomische Basis zu schaffen. Die Auswirkungen der Alkoholprohibition in den USA sind bekannt: das organisierte Verbrechen kam zu einer historischen Blüte und das organisierte Verbrechen ist zu einer regelrechten Institution im soziologischen Sinne des Wortes geworden: es ist nicht mehr totzukriegen, seine Macht ist bis heute ungebrochen.

Deswegen befürworte ich selbst auch eine totale Freigabe sämtlicher Drogen und empfinde einen Graus, ja schon Ekel, vor der hyper-spießigen Regulierungswut, was das künftig legale Cannabis anbelangt, die sich auch und gerade in diesem Forum mit geradezu obszön schmatzender Wollust ausbreitet. All diese durchaus wohlgesinnten "Regulierungsfans" wissen nicht und wollen auch nicht wissen, daß sie das Geschäft des organisierten Verbrechens führen, der "Jugendschutz" vor Cannabis nur den "Schulhof-dealer" und seinen organisiert-kriminellen "Hintergrund" zementiert und ansonsten nichts bewirkt.

Polemisch überspitzt: es ist nicht so, daß das Gesetz die Kriminalität bekämpft - es ist das Gesetz, daß die Kriminalität überhaupt erst erschafft. (Es ist mir bewußt, daß diese Aussage "ernsthaft" nicht haltbar ist - aber ich hoffe, meine Intention wird erkannt werden.)
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Martin Mainz
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Re: Über die Relevanz der Cannabislegalisierung in Deutschland

Beitrag von Martin Mainz »

Das mit der Regulierungswut, nicht zuletzt auch von den Befürworten und durchaus auch hier im Forum, erkläre ich mir persönlich so, daß man um jeden Preis diese Legalisierung will, egal wie. Erst mal durchbringen und dann anpassen. Auf lange Sicht vielleicht nicht die schlechteste Idee. Hat aber irgendwie auch ein bisschen was von Stockholm-Syndrom.
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FraFraFrankenstein
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Re: Über die Relevanz der Cannabislegalisierung in Deutschland

Beitrag von FraFraFrankenstein »

Wegen mir könnte Cannabis schon Jahrzehnte legal sein. Je eher desto besser!

Wenn da nicht die ewig bremsende SPD wäre, die sich nun schon als Beführworter ausgibt, aber trotzdem alles erdenkliche tut, um die Legalisierung wenigstens möglichst lange zu verzögern, oder besser noch ganz einschlafen zu lassen. Das Böse Hanfkraut usw.. Haschischspritzer.
Legalisierung ja, aber nicht mit den Sozen.
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Re: Über die Relevanz der Cannabislegalisierung in Deutschland

Beitrag von Pogo407 »

meine persönliche Meinung ist eher das es nicht legal wird. Entweder macht die EU einen Strich durch die Rechnung und alles muss geändert werden... sprich es zieht sich bis in zur nächsten Wahl.

Und nach der Momentanen Situation wird die jetzige Regierung wieder abgewählt und die CDU/CSU kommt wieder an die Macht.

Mir kommt es vor als ob die es absichtlich so machen... - warum? Ja warum wurde der Konsum nicht längst entkriminalisiert? Warum muss ich heute für 5g Strafe zahlen und in 2 Jahren soll es angeblich legal in Geschäften zu kaufen sein?

Für mich Schwachsinn

Trotzdem würde ich mich natürlich freuen und mir auch 2-3 Pflanzen groß ziehen falls es legal wird. Und das sage ich als mittlerweile nicht-kiffer.

Einfach nur aus Spass an der freude und das ich mal was zu Hause hab wenn ich dann doch lust habe.
pepre
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Re: Über die Relevanz der Cannabislegalisierung in Deutschland

Beitrag von pepre »

Mich erstaunt auch die völlige Hysterie. Selbstanbau quasi nur im Waffenschrank. 🤪

Gute Güte, — es ist Hanf! Jeder Kaktus zuhause ist für die lieben Kleinen gefährlicher. Da gibt es weit Gefährlicheres als Hanf: Efeu! Oleander!! Christrosen!!! Petunien!!!! Oder gar Maiglöckchen!!!!! Fertig portioniert als Schnittblume in einer Vase auf dem Esstisch! Ich fordere ein sofortiges Maiglöckchen-Verbot! Wenn Maiglöckchen, dann nur im blickdichten Waffenschrank!!!

Außerdem müssen alle Wälder niedergebrannt werden, denn da wächst sonst der Knollenblätterpilz! :shock: Und im Gegensatz zum Hanf ist der tatsächlich letal!

Oder diese schwachsinnige 0,2%-Grenze bei Nutzhanf! Hysterie pur! Als wäre nach der Legalisierung jemand an 2% Feldhanf interessiert... :roll:
pepre
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Re: Über die Relevanz der Cannabislegalisierung in Deutschland

Beitrag von pepre »

pinko42 hat geschrieben: Do 1. Dez 2022, 10:21 Nächstes jahr gilt immerhin 0,3%thc.
Immer noch Schwachsinn. Siehe Baustoff: bei harzreichem Nutzhanf kannst du dir den Kleber sparen, um zB Dämmplatten damit zu fertigen. Klebt sich quasi von selbst zusammen. Aber diese Ultra-Low-Sorten bilden einfach nicht genug Harz, um das zu nutzen. :evil:

PS: sorry, bin gerade etwas echauffiert ob soviel Borniertheit.
Freno
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Re: Über die Relevanz der Cannabislegalisierung in Deutschland

Beitrag von Freno »

Es gibt noch eine weitere 'Relevanz' der Legalisierung: ein Gesetz, zumal ein recht Strenges wie das Cannabis-Verbot, das nur noch regional wirklich angewandt wird, ansonsten selbst vom "Herrschaftsstab" zunehmend boykottiert und der Mehrheit der "Rechtsgenossen" nicht mehr ernst genommen wird - ein solches "depraviertes" Gesetz beschädigt die Autorität des Gesetzgebers ganz ungemein und das erbärmliche Hickhack der Regierungsparteien um die Legalisierung macht es nicht besser.

Es gibt ein Parallelbeispiel: nämlich die Devisengesetze der ehemaligen DDR. "D-Mark" durfte der DDR-Bürger eigentlich garnicht haben - wenn er sie zB als Geschenk der "Westverwandtschaft" legal bekam, war er verpflichtet, die "Devisen" unverzüglich umzutauschen in "Forum-Schecks", mit denen er dann im Intershop einkaufen durfte. Tatsächlich jedoch war die D-Mark - ähnlich wie der US-$ in Kuba - zu einer Parallelwährung geworden - eigentlich zur "eigentlichen" Währung. Denn der allererste Sinn und Zweck des Geldes ist die Bewerkstelligung des Warenverkehrs, des "Wirtschaftskreislaufs", der in der DDR im letzten Jahrzehnt ihres Bestehens auf der Ebene der Verbraucher nur noch mit D-Mark wirklich funktioniert hatte, während die Kaufkraft der "Chips" (das Hartgeld der DDR bestand aus Aluminium) ins Bodenlose gefallen war. "Blaue Kacheln" (das Tarnwort für 100-DM-Scheine) wurden sogar in den Kleinanzeigen der "offiziellen" Presse der DDR als "Tauschobjekt" gesucht und geboten, selbst in Landolf Scherzers "Der Erste" wird eine solche Anzeige zitiert. Sie konterkariert die üblichen real-sozialistischen Erfolgsmeldungen über vorfristige Planerfüllungen usw. Bei den Demonstrationen der "Friedlichen Revolution" von 1989 ging es beileibe nicht nur um Demokratie und Menschenrechte, sondern auch und für sehr viele: vor allem - um die D-Mark: "Kommt die D-Mark nicht zu uns - dann gehen wir zu ihr !"

Nun hinkt dieser Vergleich natürlich an mehreren Enden: Cannabis ist keine "Währung" und für die Wirtschaft in der heutigen BRD - trotz eines Milliardenmarkts - eher von untergeordneter Bedeutung. Aber dieses Beispiel von der D-Mark in der DDR könnte aufzeigen, was das Versagen der bundesdeutschen Politik zum Thema Cannabis für Folgen haben könnte, die weit über das "Thema Cannabis" hinausreichen. Ich nehme an, daß man sich ähnliche Gedanken auch zB in "Karlsruhe", beim Bundesverfassungsgericht macht, wo nach meiner (durchaus nicht akutellen) Kenntnis mindestens 3 Vorlagebeschlüsse von Amtsgerichten anhängig sind, in denen die vorlegenden Gerichte ihrer Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit des Cannabis-Verbots ausführlich kundgetan und begründet haben.

Wenn "die in Berlin" nicht bald ihre Hausaufgaben auf die Reihe bekommen, könnte es meiner Meinung nach sehr gut sein, daß es doch noch eine schallende Ohrfeige aus Karlsruhe gibt, genau aus den hier dargetanen Gründen - auch wenn im Urteil davon vielleicht keine Rede sein wird.
geigenzart
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Re: Über die Relevanz der Cannabislegalisierung in Deutschland

Beitrag von geigenzart »

Freno hat geschrieben: Mi 30. Nov 2022, 20:12 ... Es ist sehr richtig: die Kriminalisierung von Drogen führt zur Ausgrenzung der 'Konsumenten' (ich mag dieses langzähnige Wort nicht nicht) in eine Subkultur - "Szene" - in welcher jede Sozialkontrolle fehlt, im Gegenteil die "Härtesten" die höchsten Rangstufen einnehmen.“
...
Deswegen befürworte ich selbst auch eine totale Freigabe sämtlicher Drogen und empfinde einen Graus, ja schon Ekel, vor der hyper-spießigen Regulierungswut, was das künftig legale Cannabis anbelangt, die sich auch und gerade in diesem Forum mit geradezu obszön schmatzender Wollust ausbreitet.
Der Kontakt zu „Drogenhändlern“, um Cannabis zu bekommen, war mir immer ein Graus. Es war nie meine Welt. Diese Leute waren mir in vielerlei Hinsicht suspekt. Das ähnelte dem was Frauen beschrieben haben, die früher für einen illegalen Schwangerschaftsabbruch zu irgendwelchen obskuren „Ärzten“ in deren „Behandlungsräume“ in irgendeinem Keller oder Hinterhof gingen. Das sind Menschen gewesen, denen ich am wenigsten vertraut habe. Menschen auch, die offenkundig nicht mehr Teil unserer Gesellschaft waren: gesetzlos, skrupellos, teils vorbestraft, teils bedrohlich und voller Hass auf den Staat und die Gesellschaft, teils arbeitslos und nicht krankenversichert, bei keinem Einwohnermeldeamt registriert, hart geworden und verhärtet durch die Umstände ihrer Lebensverhältnisse. Und solchen Leuten gab ich mein ehrlich verdientes Geld und unterstützte damit deren katastrophale ungesunde Existenz. Ich machte mich schuldig und fühlte das auch. Ich fand das und auch mich selbst abstoßend. Man wird damit Teil einer düsteren kriminellen Welt, ob man es will oder nicht, egal wie angepasst, rechtschaffen und bürgerlich man ist. Und das wurde dann ein verborgener verschwiegener Teil deines Lebens. Darum ist auch mein Wunsch: legale öffentlich wahrnehmbare Fachgeschäfte.

Die Regulierungswut resultiert, meiner Meinung nach, aus der Angst heraus, dass selbst ein Minimal-Kompromiss scheitern könnte. Inzwischen sieht es für mich auch so aus, dass wir dem Beispiel Luxemburgs folgen und die Legalisierung wird in der Mottenkiste verschwinden. Unsere Gesellschaft und unsere Politiker scheinen intellektuell, politisch und auch gefühlsmäßig noch nicht reif genug zu sein für eine aufgeklärte vernünftige lösungsorientierte Drogenpolitik. Das trifft auch auf andere Themen wie Gendern, Geschlechtsidentität, Bürgergeld und Staatsbürgerschaft zu, wo statt Sachlichkeit gefühlte Wahrheiten in den Vordergrund treten.

Eine Mehrheit ist offenbar zufrieden mit dem derzeitigen Zustand und lehnt Veränderungen ab. Dazu gehört anscheinend auch ein großer Teil Jugendlicher, Cannabiskonsumenten mit eingenommen. Mich bestärkt diese Ansicht, wenn ich beobachte wie sich in Deutschland und weltweit ein Trend zum Konservativen etabliert. Junge Köpfe mit altbackenen Ansichten ziehen inzwischen in einen Kampf für eine Welt von vorgestern. Und ja, ich finde, du hast recht: Cannabiskonsumenten hier im Forum und in den Kommentarspalten offenbaren eine Einstellung, die von einer Spießigkeit zeugt, die ich eher von 60jährigen CDU-Wählern erwarte: Will ich nicht, brauch ich nicht, interessiert mich nicht.

Und dann wirkt es für mich hin und wieder so vergeblich und hoffnungslos für eine Cannabislegalisierung zu streiten, so als ob ich 90jährigen Bewohnern eines Altenpflegeheims das Surfen schmackhaft machen wollte. Ach nee, spazieren gehen reicht doch.

WENN man sich ausführlich mit Drogenpolitik beschäftigt, und wenn es zunächst auch nur um die Vor- und Nachteile einer Entkriminalisierung von Cannabis und seinen Konsumenten geht, kommt man, meiner Erfahrung nach, zwangsläufig und logischerweise zu dem Ergebnis, dass eine Freigabe von Cannabis neben Alkohol und Tabak den Widerspruch verschärft, dass alle weiteren illegalen Substanzen verboten bleiben. Die Probleme, die das Cannabisverbot hervorbringt, treffen in gleicher Weise auf Kokain, Heroin, LSD, Amphetamine etc zu. Nicht ohne Grund sprechen die Gegner der Legalisierung davon, dass man damit die Büchse der Pandora öffnet. Wie soll ein Politiker oder ein Staatsanwalt nach einer Legalisierung von Cannabis dann noch die Sinnhaftigkeit der Strafverfolgung eines Heroinabhängigen erklären? Weil das in diesem Fall immer noch besser ist, als Aufklärung, Prävention, Verbraucherschutz, Gesundheitsvorsorge? Und welchen Sinn macht es, Cannabis dem illegalen Drogenmarkt zu entziehen, aber das noch lukrativere Geschäft mit Kokain weiterhin der Mafia zu überlassen? Weil die Polizei dann noch erfolgreicher bei der Eindämmung der organisierten Kriminalität scheitert?
Parade
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Re: Über die Relevanz der Cannabislegalisierung in Deutschland

Beitrag von Parade »

geigenzart hat geschrieben: So 4. Dez 2022, 14:12Eine Mehrheit ist offenbar zufrieden mit dem derzeitigen Zustand und lehnt Veränderungen ab.
Das würde ich anders sagen, denn viele haben mit Cannabis nichts am Hut und es interessiert sie überhaupt nicht, und eine Strafverfolgung wegen Cannabisbesitz trifft sie nicht. Sie haben ihr Koffein/Nikotin/Saccharose/Alkohol an das sie leicht rankommen, kontrollierter Stoff in einem legalen Markt. Wenn, dann würde ich sagen die haben sich damit arrangiert das dies ihre verfügbaren Drogen sind.

Die Mehrheit geht auch den Kurs den unsere großen Medien vorgeben, und da werden 'illegale' Stoffe überwiegend negativ dargestellt.
kanapo
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Re: Über die Relevanz der Cannabislegalisierung in Deutschland

Beitrag von kanapo »

Über kurz oder lang muss die Regierung Cannabis ohnehin legalisieren. So wie es aktuell läuft, ist die Staatsverschuldung noch nie so hoch gewesen. Durch die Legalisierung könnte man einen enormen Batzen Steuern (Mwst. auf Cannabis) bekommen. Hinzu kommt, dass der Schwarzmarkt dadurch ordentlich eingedämmt wird. Widerstand kommt wohl eher durch die Pharma-Industrie. :)
Freno
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Re: Über die Relevanz der Cannabislegalisierung in Deutschland

Beitrag von Freno »

@ geigenzart

Das Problem mit der "ekeligen Drogenszene" hatte ich "persönlich" nie - solange ich illegaler Kiffer war, bekam ich mein Zeux von Freunden. Die Sache wurde kniffelig, als ich meine Juristenausbildung beendet und Rechtsanwalt geworden war. Zu den Arkana der Justiz gehört es, daß "Gerichtspersonen" (zu denen auch die Anwälte zählen) niemals etwas mit BtM zu tun haben dürfen - während man ansonsten sehr großzügig die Augen zudrückt. (Es gibt aber noch so ein paar andere "justiztypische" Tabus, die hier indessen off topic sind.) Seinerzeit war es mir auch nicht schwer gefallen, mitunter jahrelange Pausen einzulegen. Ein anderer Gesichtspunkt meiner "illegalen Karriere" war die Promiskuitiät gewesen - etwa 10 Jahre lang wurden meine Frau und ich durch Sexfreunde versorgt, die zT selbst angebaut hatten. In der promiskuitiven Szene ist Cannabis schon immer sehr beliebt gewesen.

Ich habe nur einen einzigen "hauptberuflichen dealer" persönlich kennengelernt - er war mit 1 kg Cannabis mit Handeltreiben "hochgegangen" und war aufgrund irgendwelcher Zufälle in meiner Kanzlei gelandet. Ich war "Wirtschaftsanwalt" gewesen, hatte mit "BtM-Sachen" nüschdt am Hut gehabt, mußte die "Tarife" erst bei einschlägig erfahrenen Anwaltskollegen erfragen ... aber mein Ehrgeiz als Strafverteidiger war geweckt worden (meine Straf-Mandanten, die ich "durchverteidigt" habe, haben niemals gessessen - der eine, dem ich das Mandat vor die Füße geschmissen hatte, hatte 6,5 Jahre gesessen!) und auch diesem Dealer konnte ich den Knast ersparen - wofür er sich ganz ausserordentlich dankbar erwies und sehr anhänglich wurde.
Als ich dann selbst 2010 zusammenbrach - "dekompensierte", ich bin heute psychisch ziemlich schwer krank, frühverrentet - war er einer der ersten der wenigen, die mir ihre Hilfe angeboten hatten - das hat mich sehr gerührt gehabt. Ein schlechter Mensch war das wirklich nicht.

Ein - damaliger - "Nebenerwerbs-dealer" gehörte zu unseren Sexfreunden - er hatte regelmässig mit meiner damaligen Frau geschlafen (er war - leider - stockhetero gewesen). Er hatte (und hat) einen guten, krisenfesten Beruf mit überdurchschnittlichem Einkommen, war aber aufgrund einer kapitalen Dummheit bis über beide Ohren verschuldet und lebte anderhalb Jahrzehnte unterhalb der Pfändungsfreigrenze. Das dealen war sein Weg gewesen, sich ein halbwegs erträgliches Leben zu finanzieren. Auch dieser Mensch war äusserst liebenswürdig gewesen, enorm hilfsbereit - "eine Seele von Mensch", der einzige Mensch aus meinem "früheren Leben", mit dem ich heute noch Kontakt habe. Seine erdrückenden Schulden ist er inzwischen endlich los, hat wieder eine "feste Freundin", die seine Interessen teilt und geht positiv durch's Leben.

Ich gebe aber zu, daß diese meine Erfahrungen keineswegs repräsentativ sind - vor der "Drogenszene im engeren Sinne des Wortes", in die ich gottlob nur von Berufs wegen - "über die Spitze der Klinge" - ein paar Einblicke gewonnen hatte, habe ich auch einen ziemlichen Abscheu.

Heute sind die Verhältnisse ganz anders. Mein Cannabis kommt aus der Apotheke, wird von DHL an die Wohnungstür geliefert. Rein egoistisch gesehen kann mir die Legalisierung also egal sein ... aber so egoistisch bin ich nun auch wieder nicht. ^^

Durch einen skurrilen Zufall habe ich auch im letzten Frühsommer einen jungen Mann kennengelernt, den ich seither den "Drogenbeauftragten" unseres Wohnblocks nenne - unseren "Hausdealer", der mir auch seine Dienste angeboten hatte und ein ziemlich langes Gesicht zog ob meines "Patienten-Status": mein "Gras" kommt aus der Apotheke, ist zwar deutlich teurer, als der Schwarzmarkt, aber eben "total legal" und "total clean". Es ist ein sehr freundlicher, gut gekleideter und sehr gutaussehender junger Mann - und offenbar auch bisexuell-promiskuitiv.

Die "Versorgungslage" in unserem Haus ist dementsprechend "stabil".

Hier in Leipzig wird Cannabis sehr allgemein akzeptiert - ich habe schon davon berichtet. Diese allgemeine Akzeptanz - und der hier sehr geringe "Verfolgungsdruck" - hat auch die sehr erfreuliche "Nebenwirkung", daß wenigstens die Kleindealer zumindest teilweise aus der "ekeligen Drogenszene" ein bisschen herauskommen, ein bisschen mehr "sozial integriert" werden.

Zu den übrigen angeschlagenen Themen hätte ich noch einiges zu sagen, aber das prokrastiniere ich mal lieber - auch dieser Beitrag ist schon wieder seehr lange geworden !
Freno
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Re: Über die Relevanz der Cannabislegalisierung in Deutschland

Beitrag von Freno »

geigenzart hat geschrieben: Di 29. Nov 2022, 21:37 (...)
Um es mal anhand einer Abwandlung eines Filmtitels von Rosa von Praunheim zu verdeutlichen:
Nicht der Cannabiskonsument ist kriminell, sondern die Situation, in der er lebt
oder auch:
Nicht der Cannabispatient ist krank, sondern die Situation, in der er lebt
(...)
Oh doch - der Kiffer ist krank, sonst würde er sein Gras nicht auf Rezept bekommen. ^^ Ich trage mich mit dem Vorhaben eines entsprechenden Textes, aber er würde enorm umfangreich werden, würde eine holzschnittartige Skizze psychoanalytischer Entwicklungs- und Kulturtheorie erfordern und das ist ganz schön viel Holz zu hacken ... nunja.

Einfacher ist es jedoch zu bejahen: "die Situation, in der er lebt" ist krank - nämlich "die demokratische Gesellschaft", in der jeder von jedem rund um die Uhr für alles verantwortlich gemacht wird, nur noch besoffen, bekifft oder sonstwie zugedröhnt zu ertragen ist. Ob das "dope" nun vom Dealer kommt, "auf Rezept" aus der Apotheke, aus der "kleinen Kneipe in unserer Straße" oder was weiß ich woher - ist abstrahiert betrachtet: völlig gleichgültig.

Zur Relevanz der Legalisierung gehört eben auch, daß "die demokratische Gesellschaft" durch die Legalisierung genau dies eingestehen muß: "die demokratische Gesellschaft" ist nur noch unter Drogen halbwegs zu ertragen ! Vielleicht ist genau dieser Umstand der tiefenpsychologische Grund, warum man sich so furchtbar schwer tut und einfach nicht zu Potte kommt ?
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Martin Mainz
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Re: Über die Relevanz der Cannabislegalisierung in Deutschland

Beitrag von Martin Mainz »

Freno hat geschrieben: Do 8. Dez 2022, 19:28 "die demokratische Gesellschaft" ist nur noch unter Drogen halbwegs zu ertragen !
Nun, das gilt vielleicht für dich, aber andere konsumieren vielleicht einfach zum Genuss, oder eben als Patient. Ich finde, unsere Gesellschaft oder Demokratie ist sehr gut zu ertragen. Besser jedenfalls als diverse Diktaturen wahrscheinlich.
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