Ich lebe erst seit 2016 in Leipzig, das DDR-Leipzig habe ich zwar 2x im Rahmen von Exkursionen besucht - weiß also nur recht wenig über die Vor-Wende-Subkultur von Leipzig, aber Cannabis spielte darin wohl allenfalls eine marginale Rolle. Jenes Medikament würde ich nicht überbewerten.
Die DDR war ein harter Polizeistaat, Straftaten wurden rigoros und mit enormen Aufwand verfolgt - infolge dieser sehr erfolgreichen "Null-Toleranz-Politik" mit drakonischen Strafen war die Kriminalitätsquote in der DDR sehr niedrig ... wenn man mal die "organisierte, staatliche Kriminalität" und gewisse, für sozialistische Wirtschaftssysteme unvermeidliche Wirtschaftskriminalität unter den Tisch fallen lässt (die Wirtschaft der DDR kann man auch als Netzwerk von Bilanzbetrügern bezeichnen).
Ich glaube, daß Leipzig erst nach 1990 zur Kiffer-Hochburg erwachsen ist. Die Stadt ist traditionell links, die links-alternative Szene ist hier nach der Wende aufgegangen, wie Sauerteig.
Zentraler Sammelplatz und Symbol war lange Zeit der Stadtteil Connewitz gewesen, so wie früher Kreuzberg in West- und Prenzlauer Berg in Ost-Berlin - und genauso wie diese wird jener Stadtteil gerade gentrifiziert und die Szene verteilt sich vornehmlich über den Westen ... Die Antifas, Rastafaris und sonstigen "Langhaarigen" tragen auch erheblich zum Lokalkolorit bei, die "Touris" (Leipzig ist ua ein regelrechter Ferienort geworden) brennen geradezu darauf, mal eine richtige Leipziger Demo mit brennenden Autos, fliegenden Pflastersteinen und Pyrotechnik live mitzuerleben und dabei einen Molotow-Cocktail zu schlürfen - und auch deswegen lässt man die Szene recht großzügig gewähren und hat irgendwann auch eingesehen, daß es völlig aussichtslos geworden war, dem Cannabis-Verbot in Leipzig Geltung verschaffen zu wollen, zumal wir hier ganz andere Probleme haben: Leipzig ist leider eine Hochburg der Rohkriminalität geworden und wächst gleichwohl als ewige "boomtown Ost" so rasant, daß die gesamte Infrastruktur auch im übertragenen Wortsinne (wie zB die medizinische Versorgung) total überlastet ist.
Das growing ist hier auch sehr verbreitet - der richtige Leipziger hat nämlich einen Schrebergarten. Wenn man an einem schönen Sommerabend an einem dieser großen Gartenanlagen entlangradelt, ist der Geruch von Grillanzündern und Cannabis manchmal regelrecht aufdringlich, geradezu ein Gestank.
Hier besteht, was Cannabis anbelangt, ein Zustand, der in der Rechtstheorie lateinisch "fraus legis" genannt wird: dem Gesetz wird nicht nur von den Normadressaten - dem sogen. "Bürger" - der Gehorsam aufgekündigt, sondern auch vom "Represssionsapparat": Polizei, Staatsanwaltschaften und Gerichte weigern sich ebenfalls, dem Gesetz noch Geltung verschaffen zu wollen. Man guckt weg, stellt Verfahren ein oder verschleppt sie und veranstaltet dann und wann "Hexenprozesse", die dem Gesetzgeber die Illusion vermitteln sollen, man würde ihn ernstnehmen.
Meine historischen Lieblingsbeispiele der §§ 175, 218 StGB habe ich schon oben erwähnt, ich will mich nicht wiederholen. Die "fraus legis" findet aber auch noch in anderen Bereichen, die von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen werden. Ein weiteres Beispiel ist das Insolvenzrecht, was in meiner aktiven Zeit als Anwalt nolens volens zu meinem Spezialgebiet geworden war, weil meine gewerblichen Mandanten kurz hintereinander alle Pleite waren - hätte ich sie nicht durch die Pleite hindurch gebracht, wäre ich selbst Pleite gewesen.
Das Insolvenzrecht ist, wenn man Gesetze, Kommentare, Lehr- und Handbücher liest, gespickt mit Haftungsfallen für den insolvenzbegleitenden Anwalt - "man steht mit 1,5 Beinen im Knast", weswegen die allermeisten Anwälte "Insolvenzmandate" scheuen, wie der Teufel das Weihwasser. Wer aber darauf spezialisiert ist, weiß: man wird von der Justiz gedeckt, sofern man keinen "betrügerischen Bankrott" begleitet, dh ihn möglich machen will (was sehr gut bezahlt wird). Die Insolvenzrechtlichen Vorschriften sind gut gemeint, aber würden, wenn man sie befolgen würde, jede Unternehmensfortführung in der Insolvenz und Sanierung des Unternehmens unmöglich machen. Die Fachleute wissen das und handeln danach. Appelle an den Gesetzgeber gibt es gelegentlich, aber sie verhallen ungehört. In der Insolvenzbranche hat man sich daran gewöhnt, daß der demokratische Gesetzgeber nun mal ein Idiot ist (im ursprünglich griechischen Wortsinne: jemand, der in seiner eigenen Phantasiewelt lebt).
Die "fraus legis" ist irgendwo unvermeidlich, erst recht in einer Demokratie, wo Gesetze regelmässig von Wahnsinnigen gemacht werden. Je weiter sie sich jedoch verbreitet, um so dünner wird das Eis, auf dem der Gesetzgeber steht und womöglich alsbald einbricht.